Deutschland
ArbeiterInnen im deutschen Bekleidungseinzelhandel
Im Einzelhandel sind in Deutschland etwa 3 Mio. Menschen beschäftigt. über 80 Prozent von ihnen sind Frauen, die meist in Teilzeitjobs abgedrängt werden, obwohl viele gern mehr arbeiten würden (müssten). Aber Vollzeitarbeitsplätze werden im Einzelhandel zugunsten von Teilzeit- und Minijobs, Stundenverträgen und Abrufbereitschaft immer weiter abgebaut. Das heißt aber mitnichten, dass die Arbeitszeit entsprechend der Entlohnung weniger wird: Die Konzerne bekommen die Einsparungen, die Beschäftigten dafür Arbeitsverdichtung und Arbeitsintensivierung zu spüren.
Das Gehalt einer Verkäuferin reicht für eine eigenständige Existenz kaum noch aus, zumal sie häufig auch Kinder mit zu versorgen hat. Aufgrund der immer 'flexibleren' Arbeitszeitmodelle weiß eine Einzelhandelsbeschäftigte häufig nicht im Voraus, wie viel sie am Ende des Monats verdient haben wird.
Situation der Beschäftigten
Gewerkschaftliche Organisierung
Situation der Beschäftigten
Im deutschen Einzelhandel herrscht ein unerbittlicher Konkurrenzkampf, der Jahr für Jahr Tausende kleinere Geschäfte zur Aufgabe zwingt. Gewinner sind die großen, international agierenden Handelskonzerne. Opfer sind die Beschäftigten, deren Arbeits- und Lebensbedingungen immer schwieriger und prekärer werden.
Der vom deutschen Staat mit seiner Niedriglohnpolitik unterstützte Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen zugunsten einer Vielzahl an Prekarisierungsinstrumenten von Aufstocken bis Zeitarbeit führt dazu, dass immer weniger Beschäftigte in immer weniger Zeit immer mehr leisten müssen. Der Zusammenhang zwischen Arbeitszeitverringerung und Arbeitsintensivierung spiegelt sich im stetigen Anstieg des pro Beschäftigungsstunde erwirtschafteten Umsatzes.
Die Verkäuferinnen aus dem Einzelhandel rutschen häufig in die Altersarmut: Durch die Arbeitsverdichtung und oft auf aktives Betreiben der Geschäftsleitungen werden ältere Beschäftigte häufig frühzeitig aus dem Job gedrängt. Ihre Aussicht, woanders Arbeit zu finden, ist verschwindend gering. Ihre Altersbezüge liegen dann aufgrund der niedrigen Löhne nur unwesentlich über Hartz IV-Niveau - wenn überhaupt.
Aber schon in der Zeit der aktiven Erwerbstätigkeit reicht das Gehalt einer Verkäuferin für eine eigenständige Existenz kaum noch aus. Die Auffassung, dies sei kein Problem, da Frauen schließlich nur 'dazuverdienen', während Männer für das Familieneinkommen sorgen, ist in Deutschland immer noch weit verbreitet. Tatsächlich aber wird fast jede zweite Ehe in Deutschland geschieden. Und viele Frauen heiraten gar nicht erst. Viele Frauen müssen das Familieneinkommen also alleine verdienen, vor allem wo Väter ihren Unterhaltsverpflichtungen für Kinder nicht nachkommen.
Zentrales Problem für die Beschäftigten im deutschen Einzelhandel ist die Erosion der Flächentarifverträge. Wenn die Gewerkschaft früher mit dem Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag für ein Bundesland abgeschlossen hatte, erhielt dieser Vertrag für alle dortigen Arbeitsplätze Geltung, egal ob ein Unternehmen dem Arbeitgeberverband angehörte oder nicht. Seit 1999 bedienen sich die Unternehmer jedoch einer anderen Politik: Die Tarifverträge gelten nur noch in den Betrieben, die dem Arbeitgeberverband angehören. Das wiederum macht es für Unternehmen, die die Arbeitskosten senken wollen, ausgesprochen attraktiv, aus dem Arbeitgeberverband auszutreten und untertarifliche Löhne bzw. Arbeitsbedingungen gegen die Beschäftigten durchzusetzen (z.B. längere Arbeitszeit für gleichen Lohn).
Einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn für die Branche gibt es in Deutschland nicht, obwohl er seit langem von Gewerkschaften, Beschäftigten und sozialen Organisationen gefordert wird.
Diesen Abschnitt schließen
Gewerkschaftliche Organisierung
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unterstützt Beschäftigte des Einzelhandels bundesweit in den Bemühungen, sich zu organisieren, gegen den weiteren Verfall der Arbeitsbedingungen zu kämpfen und ihre Rechte durchzusetzen. Dabei hat sie mit einigen Hindernissen zu kämpfen:
- Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad des deutschen Einzelhandels liegt im Branchendurchschnitt nur bei ca. 10 Prozent, was es schwer macht, Gegenmacht zu organisieren.
- Die Arbeiterinnen im Einzelhandel sind meist teilzeitbeschäftigte Frauen; häufig Mütter, viele von ihnen allein erziehend; mit Arbeitszeiten, die auch bei Teilzeitbeschäftigung überall zwischen 7 und 23 Uhr liegen können. Für diese Frauen ist es oft nicht möglich, Gewerkschaftstreffen in ihre vollgepackten Tagesabläufe zu integrieren. Das erschwert gewerkschaftliches Organising.
- Nicht nur in den Produktionsländern, auch in Deutschland versuchen Arbeitgeber häufig, gewerkschaftliche Aktivitäten zu unterbinden und Beschäftigte daran zu hindern, kollektiv auf ihre Rechte zu pochen. Auch multinationale Konzerne mit Wunsch nach einem 'coolen' Image reagieren oft plötzlich gar nicht mehr cool, wenn Beschäftigte in den Filialen sich daran machen, Betriebsräte zu gründen. Klassisches Union Busting von Drohungen über persönliche Angriffe bis hin zu massivem Mobbing durch Vorgesetzte und sogar Kündigungsversuchen ist auch hierzulande kein Tabu.
- Die Zerfledderung der Belegschaften in wenige Vollzeit- und viele Teilzeitbeschäftigte, Minijobber, Stundenlöhnerinnen, Aushilfskräfte, Werkverträgler, Leiharbeiterinnen etc. spaltet die Beschäftigten. Alle haben mit ihrer jeweiligen Vertragsform unterschiedliche Probleme und Prioritäten. Darüber hinaus gibt es im Betrieb praktisch keine Zeiten mehr, zu denen sich alle oder auch nur ein einigermaßen gleichbleibender Teil der Belegschaft trifft. Das macht den Austausch zwischen den ArbeiterInnen und das gewerkschaftliche Organising sowohl inhaltlich als auch praktisch schwierig.
Dennoch lassen sich viele aktive Beschäftigte in dieser von Frauen dominierten Branche und ihre Mitstreiterinnen nicht davon abbringen, zusammenzukommen und für die eigenen Rechte zu kämpfen !
Diesen Abschnitt schließen
Auch in den Einzelhandelsfilialen der Konsumentenländer verstoßen manche Zustände gegen die Rechte der Beschäftigten. Und als Arbeitgeber zeigt so manches 'coole' multinationale Bekleidungsunternehmen ein Gesicht, das so gar nicht zu seiner Konsumentenwerbung passen will.
Das einzige, was den Beschäftigten wirklich hilft, ihre Rechte gegen unwillige Arbeitgeber und untätige Behörden durchzusetzen, ist die Möglichkeit, sich in unabhängigen Gewerkschaften ihrer Wahl zu organisieren !